Eine lange Geschichte / Teil 2

Das Gebäude der Bank «Rossija« ist beeindruckend. Es steht in einem schönen
kommunistisch geprägten Teil von St. Petersburg, in der Nähe von »Smolnij«
Neben dem Gebäude kommt man sich klein und unwichtig vor, aber der gelbe Stein lässt es recht freundlich und zugänglich erscheinen.
Umso schockierender ist der Kontrast, wenn man es geschafft hat, mit beiden Händen die schwere Tür aufzumachen und in das Innere zu gelangen. Würde man sich tief unter der Erde befinden, gäbe es wenig Unterschied. An Tageslicht kann ich mich nicht erinnern, dafür an die schwarz verkleideten Wände mit darauf laufenden Zahlen in rot.
Von der Schwelle aus stolpert man fast in die Hände eines hochgradig bewaffneten Mannes mit einer nervösen Stimme, die zu seinem Gesicht sehr gut passt. Noch nervöser ist er geworden, als ich zwei Sekunden gebraucht habe, um auf seine Frage, was ich hier wolle, eine zusammenhängende Antwort zu geben. Ich dachte mir, noch zwei Augenblicke und … Deutschland hat mich zum letzten Mal gesehen.
Der Mann meinte, dass ich am Fenster rechts meinen Pass abgeben muss, dort eine Nummer bekomme, und diese muss ich wiederum bei ihm lassen. Dann darf ich durch die Sperre an ihm vorbei. Erst als er mir das erklärt hatte, bemerkte ich eine verdunkelte Scheibe, hinter der ein weiterer Mann mit einer riesigen Schramme im Gesicht saß. Ich dachte bis dahin, dass solche Visagen nur in Filmen und auf keinen Fall in Wirklichkeit existieren. Aber er war real, obwohl sich weder seine Mimik veränderte, noch irgendetwas gesagt wurde. Ich habe auch nicht geredet, aus Angst, die man nicht so recht zuordnen kann. Ich habe mir vorgestellt, dass er irgendwann einmal aus dem Keller der KGB nach oben befördert worden ist. Und ich hatte sogar ein wenig Mitleid mit dem Mann, aber erst, als ich wieder draußen, in Sicherheit war.

Das, was in der Bank abgegangen ist, hat mich eher an ein Geschäft voller Ahnungsloser erinnert, die frisch eingestellt worden sind und sich erst zurechtfinden müssen.
Zuerst konnte man mir nicht helfen, dann hat man verzweifelt nach dem Fax von Visa-International gesucht, um es schließlich irgendwo zu finden, wo es definitiv nicht hingehörte.
Da keiner von diesem Fax etwas wusste, bis ich aufgetaucht bin, konnte der Vorgang nicht rechtzeitig in die Wege geleitet werden. Die Bankfrauen haben sich als sehr großzügig erwiesen, und sich bereit erklärt, mir entgegen zu kommen. Zwei Stunden Wartezeit, die ich auf mich nehmen musste, kamen mir unter diesen Umständen wie ein Geschenk vor. Zwei Stunden später lag ein Formular vor mir, das ich ausfüllen musste. Ich schaute auf das Papier und verstand nur Bahnhof.

Warum man mir dieses Formular nicht früher gegeben hat? … Warum man mir beim Ausfüllen nicht helfen konnte, so als ob diese Leute es selbst zum ersten Mal gesehen hätten? … Warum man sich geweigert hat die Partnerbank in den USA anzurufen, als sich herausgestellt hatte, dass ich eine Identifikationsnummer hätte bekommen müssen, die ich nicht bekommen hatte und ohne die keine Bearbeitung stattfinden konnte? …
Das zu fragen ist so überflüssig gewesen, wie ein Pferd auf dem Turm einer Kirche überflüssig ist.

Ich fühlte mich wie auf einem Karussell, das nicht mehr aufhört sich zu drehen. Oder wie in einem Wasserstrudel, gegen den ich den Kampf verliere. Mit letzter mentaler Kraft erinnerte ich mich an meine Bank in Deutschland.
Meine Ansprechpartnerin war gleich für mich da. Sie war da! Sie war da!!!
Sie wusste alles! Sie konnte alles! Sie war für alle Fälle gerüstet! Und sie erlaubte mir, den Vorgang abzubrechen und diese Bank zu verlassen, ohne die Konsequenzen fürchten zu müssen. Sie würde alles regeln!

Ich habe in meinem Leben noch nie ein Gefängnis verlassen und ich habe mit keinem Gefangenen je darüber sprechen können, aber meine Intuition sagte mir, dass ich das Gefühl nun zumindest ansatzweise kennen würde.


ENDE ☺

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