Eine lange Geschichte / Teil 1

Am zweiten Freitag in St. Petersburg wurde meine Bankkarte am Geldautomaten eingezogen. Zum Glück geschah es in einem Vier-Sterne Hotel, in dem ich das Geld abgehoben hatte. Normalerweise bleibe ich in solchen Situationen ganz ruhig. Dieses Mal hat es mich aber richtig erwischt. Ich hatte nur noch 50 Euro. Meine Visa-Karte war unbrauchbar, weil mir meine Bank aus Versehen das falsche Datum eingraviert hatte. Kurz gesagt: Ich war in Russland, ich hatte kein Geld und am Mittwoch ging mein Zug nach Moskau.

Dem jungen Mädchen an der Hotelrezeption ist nichts Besseres eingefallen, als mir die Telefonnummer der Bank in die Hand zu drücken und mich in ein Hinterzimmer zu setzen, wo ich telefonieren durfte. Ob sie das mit Ausländern, die kein Russisch können, auch so machen? Wahrscheinlich müssen sie es gar nicht. Die Gäste in diesem Hotel können keine Geldprobleme haben. Ansonsten schaffte das Mädchen gerade mal den Satz »ich weiß nicht, was ich machen kann« und, als ich vor Wut fast explodiert bin: »ich könnte den Manager* rufen«. Die elektronische Bankstimme verkündete zehn Minuten Wartezeit und ich wurde verbunden, bevor der Manager kam. Die Frau von der Bank war sehr freundlich und bemüht mir zu helfen. Nachdem ich ihr die Adresse genannt hatte, meinte sie, dass sie keine Nummer von meiner Bankkarte auf ihrem Display sehen würde. Ich überlegte mir, ob so eine Karte unsichtbar gemacht werden oder sich im Automaten einfach auflösen kann. Russland ist immerhin das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wenigstens hat sie mir versprechen können, dass der Automat bereits am Montag aufgemacht werde. Ich sollte anrufen.


*Als »Manager« wird in Russland so ziemlich jede Dienstleistungsposition bezeichnet. »Manager» klingt wichtig. Manager möchte hier jeder sein.
Ich wette, dass die Prostituierten, die was auf sich halten als Liebesmanagerinnen bezeichnet werden, oder so ähnlich.

Am Montag hatte die Bankfrau schlechte Nachrichten für mich. Der Bankomat wurde aufgemacht, aber keine Karte gefunden. Ich spürte, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Immerhin stehen in der Nähe dieses Geldautomaten mindestens zwei bewaffnete Männer und direkt vorne ist die Rezeption, die mich übrigens hätte anrufen sollen, wenn der Service zum Aufmachen kommt. Ich rief im Hotel an. Nein, der Automat wurde noch nicht aufgemacht; es soll aber während der nächsten Stunde passieren. Ich dachte, ich verliere meinen Verstand. Und damit es nicht sofort passiert, rief ich meine Bank in Deutschland an, um jetzt doch die Karte zu sperren und alles Weitere zu besprechen. Meine Karte war aber bereits gesperrt. Also forschte die Frau am anderen Ende der Leitung nach und fand heraus, dass meine Bank so sehr um meine Sicherheit bemüht war, dass sie mir einfach die Karte gesperrt hat, weshalb sie auch eingezogen wurde. Der Grund: von meinem Konto wurde mehrere Male im Ausland Geld abgehoben und mich konnte man nicht erreichen. »Kein Wunder« sagte ich, »wenn ich in Russland bin und von meinem Konto Geld abhebe, kann man mich nicht zwangsläufig leicht erreichen«. Wenigstens waren sie bereit wegen der falschen Visa-Karte alle Unkosten zu übernehmen. Und dann machte ich einen Riesenfehler. Um mich doppelt abzusichern entschieden ich und meine Bank eine Überweisung über die Visa-International durchzuführen.

Die Karte habe ich trotzdem bekommen und sie wurde auch entsperrt, aber ich konnte die Überweisung über die Visa-International nicht mehr stoppen. Dazu musste ich aber ein paar Mal mit meiner Bank und der Filiale in Frankfurt telefonieren und auf einen Anruf aus den USA warten, um die Adresse der Bank zu erfahren, zu der ich gehen sollte.

Als der Anruf kam, befand ich mich im Halbdunkel eines Gefängnisses für politische Gefangene, in der Peter-Pauls-Festung. Ich ärgerte mich fürchterlich. Die ganze Stimmung war dahin und meine Gruppe war hinter einer Ecke in die Düsternis des Ganges verschwunden. Das hieß für mich, dass ich die Führung nicht mehr mitmachen konnte, und dass ich die ganz schlimmen Zellen, in denen die Gefangenen verrückt würden, nicht mehr zu sehen bekam.

Die Angestellte der Visa-International hat mindestens zehn Minuten gebraucht um herauszufinden, zu welcher Bank ich gehen sollte. Warum sie das vorher nicht gemacht hat, bleibt ein Rätsel. Ich war einfach nur erschöpft. Sowohl körperlich, als auch psychisch. Am liebsten hätte ich mich auf ein Bett in einer der zahlreichen Kammern gelegt und die Augen vor der Welt verschlossen. Theoretisch wäre es auch gegangen. Doch dann kam aus dem Dunkeln eine Frau und begleitete mich hinaus. Ich weiß nicht, was sie mehr befürchtete: dass ich den Weg zurück nicht fände, dass ich mich hier für länger einnisten könnte oder vielleicht, dass ich etwas klauen würde?

Draußen regnete es und ich überlegte, was ich weiter machen sollte. In diesem Moment kam eine SMS von meinem Telefonanbieter. Sie wollten meine Karte sperren, weil ich bereits so viel und teuer telefoniert hatte und sie sich ähnliche Sorgen machten, wie meine Bank. Kaum hatte ich das geklärt rief Amerika wieder an und ließ mich ewig in der Warteschleife, um mir zu sagen, dass es ein Fehlanruf war. Ich wollte am liebsten zurück ins Gefängnis, um mich dort vor Regen und dem Rest der Welt zu verstecken. Doch es war bereits geschlossen.

Ich spürte, dass dies erst der Anfang war. Und so war es auch. Ich rief bei der russischen Bank an und fragte wegen dem Fax nach, das sie von Visa hätten bekommen müssen. »Da versuchte jemand zu faxen, aber es ist nicht durchgekommen und außerdem haben wir auch eine neue Nummer für solche Zwecke. Ich kann ihnen die Nummer geben, damit sie diese ihrer Bank mitteilen, wenn sie ein Fax schicken will«, war die Antwort. Ich war kurz davor einen Mord zu begehen, entschied mich aber dafür, nichts weiter zu unternehmen, die letzten Kräfte zu sammeln und zu meinem Hotel zu fahren.

Fortsetzung folgt...

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